GRENZEN / Europa

Animierte Bleistiftzeichnung | 1:40 min/loop | HD | mute | 2010

 

 Text im Katalog der Ausstellung:

"Europa. Die Zukunft der Geschichte", Kunsthaus Zürich, 2015

von Manuela Reissmann

 

Im Zentrum der künstlerischen Arbeit von Simona Koch stehen das Lebendige und seine Zusammenhänge, Entwicklungsprozesse und Strukturen. In Zeichnungen, Fotografien, Installationen und Animationsfilmen reflektiert sie ihre Recherchen zu den grundlegenden wissenschaftlichen und philosophischen Fragestellungen des Lebens. Vom kleinsten Organismus bis zum Menschen untersucht sie Auswirkungen und Wechselwirkungen, Entwicklungen und Spuren, die durch Lebewesen verursacht werden.

Die Spuren des Menschen und die damit verbundenen Folgen sind für Simona Koch von besonderem Interesse. Im Animationsfilm "GRENZEN / Europa" untersucht sie auf subtile und poetische Weise die Auswirkungen von Grenzziehungen, Grenzverschiebungen und -aufhebungen und stösst damit eine beinahe endlose Kette von Assoziationen an. Mit einem Bleistift zeichnete sie europäische Grenzen vom Jahr 0 bis heute auf ein Blatt Papier, um sie wieder auszuradieren, zu verändern oder durch neue zu ersetzen. Als Vorlage dienten ihr historische Atlanten und Karten, die sie auf Flohmärkten, in Antiquariaten, Bibliotheken und im Internet aufstöberte. Doch obwohl sie sich an den chronologischen Ablauf hielt, gibt sie keine Jahreszahlen an, die historische Einordnung ist nicht von Bedeutung. Vielmehr treten die Unbeständigkeit von Grenzen und der stetige Wandel auf dem europäischen Kontinent in den Vordergrund, unterstützt durch die Wiedergabe im Zeitraffer. Die Verkehrung der Zeichnung ins Negativ erzeugt weitere spannende Komponenten: So ist am Anfang des Films lediglich eine dunkle Flache zu sehen, die sich mit weissen, sich laufend verändernden Linien überzieht. Jede der verschwundenen Grenzen hinterlässt helle Schatten, die am Ende, wenn auch die heutigen Grenzen ausradiert sind, ein pulsierendes, organisches Geflecht ergeben, das den Kontinent in seinen groben Formen erst erkennbar werden lässt.

Simona Koch regt mit "GRENZEN / Europa" Gedanken an, was Grenzen eigentlich sind, wie und warum sie entstehen, welche Arten von Grenzen es gibt, was sie bedeuten und auslösen können. Grenzen, vom Menschen gezogen, trennen das eine vom anderen, schliessen aus oder ein. Politische oder physische Grenzen werden auch zu kulturellen, sozialen und mentalen Schranken, schaffen Identifikation, Verbundenheit und ein Gefühl von Sicherheit. Umgekehrt können sie ebenso Angst auslösen, Vorurteile gegenüber dem anderen jenseits der Grenze begünstigen und einen Austausch erschweren. Das rhizomartige Geflecht am Ende des Films, bestehend aus den Spuren der einstigen Staatsgrenzen, wirkt wie ein Röntgenbild Europas und verweist auf einen gewachsenen Zusammenhalt jenseits nationaler Ansprüche.